Vor Kurzem ist es beim Impfzentrum des Landkreises Leer zu unglaublichen Wartezeiten gekommen. Klar, dass man sich beschwert. Es gab tatsächlich eine Panne, jedoch wäre die Wartezeit mit normaler Pünktlichkeit lediglich 15 Minuten gewesen, erschien man aber schon eine halbe Stunde früher, so war es dann eine Dreiviertelstunde. Tja, die weltbekannte Pünktlichkeit der Deutschen! Fünf Minuten vor der Zeit – das ist deutsche Pünktlichkeit! Ja – 5 Minuten. In Deutschland ist alles immer pünktlich – die Bahn, Busse, Flugzeuge. Sollte man das anders empfinden, wäre eine Therapie bezüglich der Wahrnehmungsfähigkeit angesagt. Aber auch der Berliner Hauptstadtflughafen wurde pünktlich eröffnet – nun, die Eröffnung verschob sich zwar fast um 9 Jahre, aber das war doch wohl Sabotage. Bei vielen Reisen ins europäische Ausland mussten wir stets feststellen, dass die Pünktlichkeit in anderen Ländern wesentlich anders ausgelegt wird und das Herzinfarkt-Risiko doch minderte. Über Begebenheiten zu diesem Thema – vor allem das Essen betreffend – handelt unser heutiger Blog.

Die Pyrenäen – wunderbares Gebirge an der französisch-spanischen Grenze, inmitten der Berge der Zwergstaat Andorra. Die Pyrenäen sind hoch und nur schwach besiedelt. Mit der Ausnahme der Hauptstadt Andorras hält sich die Hektik hier aus dem Leben heraus. Wir mieteten uns in ein kleines Hotel in Foix auf der französischen Seite ein. Wir kannten diese Hotelkette aus ganz Frankreich. Vor allen Dingen hatten wir die bequeme Lage der Hotels an den Stadträndern schätzen gelernt. Wir hatten einen kleinen Hund dabei. Dafür war es wirklich praktisch, dass alle Zimmer von außen über die Terrasse bzw. den Balkon zugänglich waren. Das Restaurant war wirklich bodenständig und gut und abends auch oft von Einheimischen frequentiert – ein gutes Zeichen. Trotz eines Buffets gab es hier niemals Hektik – jedenfalls nicht in den ersten zwei Tagen. 

Dann aber kam ein deutsches Lehrer-Ehepaar (das haben wir irgendwie im Laufe des Aufenthalts erfahren) mit zwei Kindern, die scheinbar wenig Lust auf Natur und Kultur hatten. Aber hier gab es nichts anderes. Mit dem Sohn machten wir gleich mal eine Erfahrung. Wir waren gegen Abend von unserer Tagestour zurück gekommen und hatten das Fenster zu unserem Zimmer weit geöffnet. Da wir aber Erdgeschoss zum Garten nach hinten hinaus wohnten und immer wieder Gäste vorbeikamen, zogen wir die Gardine und den Vorhang zu. Draußen spielten lauthals Kinder. Der besagte Junge schlich sich an unser Fenster und schob langsam den Vorhang beiseite, um hineinzusehen. Ein lautes „EEHH“ von uns vertrieb ihn schnell. Dann waren die Kinderstimmen aber sowieso verstummt. Es war 19.25 Uhr. Wir schauten noch etwas Fernsehen, um den Wetterbericht mitzubekommen und unser Hund drängelte, er wollte nach draußen. Also an die Leine und los. Es war 19.28 Uhr, als wir die vierköpfige Familie etwas ungeduldig vor dem Restaurant hin und her laufen sahen. Wir wussten natürlich aus Erfahrung, dass man in Frankreich besser nicht vor 20.00 Uhr in ein Restaurant geht. Der deutsche Gast begann dann um 19.30 Uhr (da begann die Öffnungszeit des Restaurants) noch ungeduldiger zu werden, weil die Tür noch verschlossen war. Er versuchte dann, mit einem Sprung durch die Oberlichter zu schauen – durch alle, denn er hüpfte wie ein Gummiball um das Restaurantgebäude. Als man das Restaurant dann gegen 19.45 öffnete, hatte man ihm – so dachten wir – etwas über die französische Auffassung von Pünktlichkeit beigebracht. Weit gefehlt – am nächsten Morgen wiederholte sich das Schauspiel noch einmal vor dem Frühstück! Er war nicht belehrbar – auch nicht nach 5 Tagen Aufenthalt. So standen wir zufällig auch an der Rezeption, als er zahlte. Er bedankte sich herzlich – das war auch wohl wirklich so gemeint – für die nette Bedienung im Hotel und versprach: „Ich komme wieder!“ Der gute Mann an der Rezeption schaute verwirrt und war wohl froh, dass man diesen hüpfenden Pünktlichkeitsfanatiker los wurde und meinte darauf etwas zerknirscht: „ja, ja!“ Auch, wenn er das auf französisch sagte, es bedeutet das Gleiche wie im Deutschen. 

Nun, die Franzosen sind nicht die einzigen, die die deutsche Überpünktlichkeit nicht verstehen. Das ist eigentlich in ganz Europa so.  Wird man also in Frankreich um 20.00 Uhr zum Essen eingeladen, dann kommt man fünf bis zehn Minuten später. Dadurch bringt man den Gastgeber nämlich nicht aus dem Konzept. Kommt man, wie ein Deutscher zehn Minuten zu früh, wird man sicher nie wieder eingeladen. Wir kennen das von zahllosen Verkostungsabenden, die wir in den letzten Jahren hier erleben durften. Das lief dann so ab: Freitag, Beginn ist 20.00 Uhr. Während die Küche bereits nachmittags Vorbereitungen treffen musste, konnten wir den Tisch im Verkaufsraum erst nach 18.00 Uhr, nämlich dem Ladenschluss, vorbereiten, also eindecken und dekorieren. Das dauert eben ein wenig. Mehr als pünktliche Gäste kamen dann manchmal trotz unserer gegenteiligen Bitte bereits um 19.30 Uhr. Es hieß dann oft, wir sollten uns nicht aus der Ruhe bringen lassen, man hatte gedacht, dass man pünktlich erscheint, um auch früher fertig zu sein. Nun, wir konnten nicht normal weitermachen. Hier eine Frage, da eine Frage und stets wurde es in solchen Fällen viel später, als bei Gästen, die genau zur vereinbarten Zeit kamen. 

Man muss sich das so vorstellen: die Einladung ist für 12.00 Uhr zum Mittagessen ausgesprochen. Um nach einer kurzen Begrüßung spätestens um 12.10 Uhr das Essen perfekt zubereitet auf dem Tisch zu haben, setzt man um 11.40 Uhr die Kartoffeln auf und beginnt 5 Minuten später mit dem Braten der Schnitzel. Dann klingelt es an der Tür. Schnell hin – die Gäste sind da. Kurzer Small-Talk, au weia! Die Schnitzel! Zu lange auf der einen Seite, sehr dunkel gebraten, umdrehen, schnell zurück und die Gäste an den Tisch bringen. Als Gastgeber ist man jetzt in einer Stress-Situation, die sich in den nächsten Stunden nicht mehr stoppen lässt. Was mögt Ihr trinken? – Oh nein! Die Kartoffeln sind mittlerweile matschig gekocht, die Schnitzel kann man gerade noch retten. Vom Esstisch klingt ein völlig entspanntes „macht Euch doch bloß keinen Stress!“ Nettes Gerede folgt. Und was sagen die Gäste, wenn sie nach Hause gehen? „War ja ein netter Besuch – aber matschige Kartoffeln und verbrannte Schnitzel – mit dem Kochen haben die es wohl nicht so!“ Eine Bekannte von uns schaffte es einmal, ihre Gäste umzuerziehen. Als sie wieder einmal viel zu früh zum Essen erschienen, empfing sie sie mit einem Messer in der Hand und sagte: „Schneidet schon mal einer von Euch die Zwiebeln?“ – Künftig kamen sie später.

Da war da noch eine Begebenheit, bei der wir zu den Nicht-Gestressten gehörten. Aber peinlich war ´s. Es ist viele Jahre her. Wir hatten den 2. Weihnachtstag. Da der ein Samstag war, stand genau an diesem Tag am Abend eine Verlobung an. Auf das traditionelle Weihnachtsessen im Restaurant wollte man aber doch nicht verzichten – und zu Hause war keine Zeit zum Kochen. Die Familie hatte einen Tisch in einem tollen jugoslawischen Restaurant bestellt. Wir sollten in der ersten Gruppe dabei sein, nämlich um 11.30 Uhr. Die Familie drängte, es war ja schon spät. Gegen 10.50 Uhr kamen wir im Restaurant an – es herrschte eine irrsinnige Hektik – die armen Leute, also die Mitarbeiter dort! Man bemühte sich um uns, das Essen wurde bereits um 11.10 Uhr serviert und gegen 11.30 Uhr, die anderen Gäste der ersten Gruppe trafen gerade ein, wurde uns das Dessert serviert und von uns gleichzeitig die Rechnung verlangt – der Chef des Restaurants blickte ungläubig, aber wir gaben ihm zu verstehen, dass wir keine Zeit mehr hätten, unser Bus würde gleich fahren. Um 11.34 Uhr verließen wir das Restaurant. PEINLICH! Wir waren oft dort gewesen, es war immer sehr schön, aber wir sind nie wieder hingefahren. Glücklicherweise haben wir den heutigen Besitzer kennengelernt – er kam als Kunde in unseren Laden. Sobald alles wieder geht, werden wir wieder dort essen gehen! – In Ruhe natürlich und zu den Öffnungszeiten.

Ja, wir Deutschen und unsere Pünktlichkeit. Zu spät kommen wird bei uns nur im akademischen Viertel geduldet, obwohl das eigentlich nur eine Bezeichnung für Seminare und Vorlesungen ist, nämlich, wenn bei der Ankündigung ct, also cum tempore steht, dann beginnt die Veranstaltung nicht zur vollen Stunde, sondern 15 Minuten später. Hat also gar nichts mit Pünktlichkeit zu tun. Ebenso legen wir uns gerne den Spruch „Pünktlich wie die Maurer“ zurecht. Der Spruch bezieht sich aber auf den pünktlichen Feierabend, nicht um den pünktlichen Arbeitsbeginn. Und wen hat es nicht schon einmal genervt, wenn man selbst noch in Unterhosen im Badezimmer steht und an der Tür klingelt es und die Bekannten stehen schon in Frack und Abendkleid bereit. Was lernen wir also daraus? Pünktlichkeit nach deutscher Manier macht Stress, beim Essen und beim Impftermin! 

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